Risse im Beton - Das „Mauer Museum“ in Bethlehem
30. Okt 2015
Eine acht bis neun Meter hohe Betonwand quer durch das eigene
Stadtviertel, eine Mauer, die Licht und Sicht nimmt und die gesellschaftlichen
Lebensadern abtrennt: Wie kann man mit einer solchen Monstrosität umgehen?
Straßen enden abrupt, Nachbarn, Familien werden getrennt, Felder und
Olivenhaine unzugänglich, Restaurants und Geschäfte müssen schließen. Nicht
einmal nähern darf man sich dem Bauwerk, was in engen Stadtvierteln z.B. Bethlehems
schwierig ist.
Aggression und Verzweiflung sind naheliegend. Dass das nicht der Weg sein darf, sieht Toine van Teeffelen, Anthropologe, Sozialwissenschaftler und Friedensarbeiter, der seit zwanzig Jahren in Bethlehem lebt und dort mit einer Palästinenserin eine Familie gegründet hat.
Anlässlich seiner Teilnahme beim SpielArt Festival in München war van Teeffelen auch Gast bei Pax Christi Erding Dorfen, um über das „Mauer Museum“ zu berichten. Das „Mauer Museum“ – absichtlich in Anführungszeichen gesetzt, weil es die Mauer nicht ausstellen, sondern überwinden möchte – ist ein Projekt des Arab Educational Institute, einer Tochterorganisation von Pax Christi International, für das van Teeffelen arbeitet. Über hundert Riesenposter auf Metallfolie werden künstlerisch gestaltet und auf der palästinensischen Seite der Mauer angebracht. Die Poster erzählen kleine Geschichten von Menschen, die täglich vor dieser Wand kapitulieren müssen. Geschichten werden zu Geschichte und Geschichte relativiert die auf Unüberwindbarkeit und Alternativlosigkeit gegründete Mauer. Die Poster sind die kleinen mentalen Risse im Beton der eindimensionalen Denkmuster.
Die meisten der Geschichten stammen von Frauen und Jugendlichen, die von einem Team sprachlich und gestalterisch unterstützt werden. Van Teeffelen berichtet von einem Jugendlichen, der in das Projekt eingebunden wurde: Bisher habe er Steine geworfen, aber nun halte er die Poster für die bessere Lösung.
Zum Überleben entlang der Mauer ist es notwendig, Hass und Verzweiflung einzudämmen und die Hoffnung lebendig zu erhalten. (Aktions-)Kunst ist dabei ein wichtiges Medium. Die verletzlichen Poster auf Stahlbeton sind ein klares Nein zur Gewalt der Okkupation.
Gesine Goetz